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Ein Hund als Weihnachtsgeschenk

Lesergeschichte

Eine Geschichte aus den 70er Jahren, in der drei Schwestern ihren Eltern zu Weihnachten einen Hund schenken. Dass der Tierschutzgedanke zu dieser Zeit eher noch unwichtig war, kann man hier gut feststellen. Die Geschichte ist vergnüglich zum Lesen, aber keinesfalls zur Nachahmung empfohlen.

Der Weihnachtshund

Als meine zwei älteren Schwestern und ich in den frühen 70ern erwachsen geworden und aus dem heimatlichen Niederbayern nach München gezogen waren, kam das erste Weihnachtsfest, das wir als „Heimkehrer" gemeinsam mit unseren Eltern feiern wollten. Wir überlegten hin und her, welches Geschenk geeignet wäre, einen Ersatz für uns zu bieten, denn wir waren überzeugt, dass unsere Eltern an großen Entzugserscheinungen leiden würden, weil ihnen jegliche Art von Spaß, Freude und Trubel im Haus fehlte. Und obwohl sie sich über all die Jahre standhaft geweigert hatten, einen Hund in unsere Familie aufzunehmen, waren wir auf einmal alle drei sicher, dass nur ein süßer kleiner Welpe das fehlende Familienglück unseren Eltern wiedergeben könnte.

Nicht nur, dass man Tiere auf keinen Fall verschenken sollte - wir machten auch ansonsten alles falsch, was man falsch machen konnte. Für gewöhnlich überlegt man in Ruhe, welche Rasse am besten zu einem passen könnte, lässt sich beraten und entscheidet sich dann für ein Tier von einem empfohlenen Züchter oder für eines aus dem Tierschutz. Uns waren solche Gedanken leider völlig fremd, wir wussten nur, dass jede von uns 100 DM zu diesem vierbeinigen Weihnachtsgeschenk besteuern konnte.

Vier Tage vor Weihnachten war es soweit. Meine Schwester hatte entdeckt, dass beim Stachus in der Mathäser- Passage ein Zoogeschäft junge Hunde in einem Glaspavillon ausstellte (nach heutigen Tierschutz-Aspekten unfassbar! Die Tiere waren wahrscheinlich noch sehr jung, Hygiene und Sozialisierung wahrscheinlich zweitrangig)  Und so standen wir vor dem Fenster und starrten hingerissen diese kleinen süßen Cockerspanielchen an, die damals so in Mode waren. Sie liefen mit tapsigen Schrittes in ihrem Glashaus herum, balgten sich oder lagen einfach nur als wolliges, wonniges Knäuelchen da und schliefen. Eine halbe Stunde drückten wir uns die Nasen platt, um sie zu beobachten und den süßesten der Süßen herauszufinden. Danach waren wir uns einig: dieser Braune mit dem schiefen Ohr, das ihm eine etwas verwegene Note gab, der so unverdrossen seine Mitbewohner zum Spielen aufforderte, der sich beim Laufen überschlug und vor lauter Lebensfreude Luftsprünge machte - der musste es sein!

Vom Zoohändler bekamen wir die kurze Erklärung, dass es ein Rüde sei und knappe Anweisungen, was Ernährung und Impfungen betraf. Nach erfolgter Zahlung wurden wir sträflich unwissend, aber mit vielen guten Wünschen zur Tür geleitet.

Cocker Spaniel WelpeIn der Wohnung angekommen merkten wir, dass dem neuen Mitbewohner die Sache mit dem „Gassi gehen" noch nicht so ganz klar war. „Gassi" war quasi in der ganzen Wohnung. Kein Wunder, das war ja auch in der Zoohandlung so. Nachdem einige feucht-dunkle Flecken den Teppich zierten, gingen wir sporadisch alle zwei bis drei Stunden mit ihm nach unten und warteten und warteten ... Und er wartete bis wir wieder oben waren, um in der gemütlichen Wärme des Zimmers einen neuen dunklen Fleck zu produzieren.

Wir gaben dem Hündchen vorerst nur einen „provisorischen" Namen,  denn das Privileg der endgültigen Namensgebung wollten wir unseren Eltern überlassen. Die Wahl fiel auf „Rochus“, weil meine Schwester in der Woche vorher mit einem jungen Mann ausgegangen war, der diesen ungewöhnlichen Namen trug. „Rochus" scherte sich in keiner Weise um den Akt der Taufe, außer man wertet einen weiteren dunklen Fleck auf dem Teppich als Zeichen von (T)Aufregung.

Die ersten Tage mit Rochus waren recht spannend. Anfang der 70er Jahre trugen wir modebewusst weite, rund geschnittene Hosen und der tapfere kleine Kerl focht heroische Kämpfe mit unseren Hosenbeinen aus. Beim Gehen flatterten sie uns um die Beine und er stürzte aus einer Ecke des Zimmers hervor, sprang den „Feind" an und verbiss sich im Stoff. Meist ergaben wir uns schnell und zogen ihn mit einem lahmen Bein neben uns her, bis er irgendwann aufgab oder ein neues Abenteuer entdeckte.

Sein Lieblingsplatz war das Sofa. Aber um diesen Platz zu erreichen, fehlten ihm noch gut 10 cm an Beinhöhe. Er stellte sich daher auf die Hinterbeine, stützte sich mit den Vorderbeinen auf dem Sofa ab, setzte sein traurigstes Gesicht auf, jaulte und winselte zum Gotterbarmen und schon wurde er von uns hochgehoben. Manchmal belohnte er uns mit einem ausgedehnten Nickerchen, manchmal aber sprang er auf der anderen Seite des Sofas gleich wieder herunter, drehte eine eilige Runde im Zimmer und das Sofa-Spiel begann von neuem.

Nachdem er einen neuen Lederhandschuh als natürlichen Feind empfunden hatte, ging meine Schwester nicht nur mit einer Hand in der Manteltasche spazieren, sondern es befielen uns auch leise Zweifel, ob dieses Hundebaby wirklich das ideale Weihnachtsgeschenk für zwei Menschen war, die sich nach jahrelangen Kämpfen mit pubertierenden Töchtern so etwas wie Frieden im Haus verdient hatten.

Der Heilige Abend kam und wir fuhren mit unserem Weihnachtshund nach Niederbayern. Kurzzeitig gaben wir ihn bei einem Nachbarn ab, um unser Geheimnis nicht schon am Nachmittag preisgeben zu müssen. Unsere Aufregung war vor unserer Mutter nicht geheim zu halten und wie sie uns später erzählte, hatte sie unseren Vater gebeten, er möge - was immer auch dieses Weihnachtsgeschenk sei- gute Miene zum bösen Spiel machen, denn wir hätten uns offensichtlich viel Mühe gegeben und uns eventuell in größere Ausgaben gestürzt.

All die Jahre war es das Privileg unseres Vaters, die Geschenke unter den Weihnachtsbaum zu legen, die Kerzen anzuzünden und das Weihnachtsglöckchen zu läuten. Daraufhin gingen wir ins Wohnzimmer, um im Glanz des weihnachtlichen Kerzenlichtes vor dem Baum „Stille Nacht" zu singen. In diesem Jahr musste diese traditionelle Prozedur abgeändert werden.
Unsere Eltern warteten diesmal in der Küche und wir holten Rochus vom Nachbarn über die Terrasse ins Wohnzimmer. Alles musste schnell gehen, damit er uns nicht durch sein fiepsiges Bellen verriet. Wir setzten Rochus in einen Korb hinter den Christbaum und bimmelten eilig mit dem Glöckchen. Während wir dann das schönste aller Weihnachtslieder sangen, krabbelte Rochus plötzlich aus seinem Körbchen, plumpste mit einem entzückenden Überschlag vom Rand und setzte sich in gemütlichem Trab in Bewegung. Gott sei Dank waren wir in diesem Moment von seinem Anblick so hingerissen, dass wir die Mienen unserer Eltern nicht sehen konnten. Ich bin sicher, sie waren gleichzeitig voll Panik, Entsetzten und Entzücken.
Er lief - wohl schon mit einer guten Nase für die richtigen Entscheidungen - schnurstracks auf meine Mutter zu, setzte sich vor sie hin und schaute mit schiefem Köpfchen zu ihr hoch. Bei meinem Vater mag es Wochen gedauert haben, das Herz meiner Mutter hatte er sich in diesem Augenblick bereits erobert.

Hundeschulen waren noch es zu dieser Zeit noch nicht erfunden, ein Hund lief einfach "nebenher" und so gab es viele  bittere Momente in den nächsten Monaten für ihn und meine Eltern. Im Garten vergrabene Handschuhe, versteckte und versabberte Tücher und Krawatten, zerfetzte Hausschuhe und „Gassi gehen" in der Küche. Meine Mutter musste bei meinem Vater viel Überzeugungsarbeit leisten. Aber irgendwann - als die Spaziergänge mit ihm richtig Spaß machten, als er auf seinen Namen hörte (der übrigens Rochus geblieben war), als er mit ihm im Garten spielen und toben konnte und als er sich abends zu ihm auf die Couch kuschelte - da liebte ihn auch mein Vater heiß und innig.
Und für uns Schwestern war es immer wieder schön, beim Nachhause kommen nicht nur herzlich von unseren Eltern begrüßt zu werden, sondern auch die überschäumende Willkommensfreude des Hundes zu erleben.
13 Jahre war Rochus für uns alle ein Sonnenschein und meine Eltern waren froh, dass sie damals am Weihnachtsabend zum vermeintlich "bösen Spiel" eine gute Miene gemacht hatten.


Vielen Dank für diesen Beitrag an unsere Leserin Ursel B. aus München, die übrigens mit uns einer Meinung ist:
Diese Geschichte ist glücklicherweise gut ausgegangen, sie ist aber trotzdem auf keinen Fall zur Nachahmung geeignet, denn Tiere soll man in keinem Fall verschenken!

Es ist heute ein absurder Gedanke und -wenigstens in Deutschland- aus Tierschutzgründen gar nicht mehr möglich, in Zoogeschäften Hunde zu kaufen. Aber selbst unter normalen Umständen erworbene Tiere sollte man nicht als „Geschenk" weitergeben, denn sie landen nicht selten nach kurzer Zeit im Tierheim. Lesen Sie dazu auch Tierische Weihnachtsgeschenke